Ende des Gemeinwohls – Ein wirtschaftlicher Erklärungsversuch, warum es uns früher besser ging

| January 24, 2022|Categories: Finanzmärkte, Happiness, Sparen|

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Ein Blick zurück – und einer nach vorn

Waren die alten Zeiten tatsächlich besser? Und wenn ja, warum? Wir lesen von gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gepaart mit politischen und ökologischen Verwerfungen, die nicht selten zu raschen (Vor-)Verurteilungen verleiten – wahlweise werden dann neoliberale, neosozialistische oder andere Lösungsversuche hervorgeholt. Brexit, Trump, rechts- wie linkspopulistische Bewegungen und Protest-Parteien: Sind sie Antworten einer frustrierten Gesellschaft auf eine gegenwärtig wachsende Ungleichheit?

Üblicherweise gibt es die einen, die meinen, dass es heutzutage in vielerlei Hinsicht nicht schlechter zu sein scheint als früher. Von den anderen hört man wiederum: “Früher ging es uns allen viel besser!” – egal ob es um Zinsen, Verdienstmöglichkeiten, Anstellungsverhältnisse, die Politik oder die Wirtschaft geht. Was ist dran an diesen alten Floskeln?

Lotterie und Leistungsgesellschaft

Nicht selten wollen uns Politiker weismachen, dass das Leistungsprinzip für uns alle funktioniert. Hat demnach der am meisten Erfolg, der am härtesten arbeitet? Dieses Mantra scheint vor allem von den Nutznießern des Systems hervorgebracht zu werden. Die Kehrseite lautet folglich, dass diejenigen, die scheitern, es selbst verursacht haben. Warren Buffett zählt zu den wohlhabendsten Menschen dieser Welt und er ist eindeutig ein Gewinner der Leistungsgesellschaft, aber selbst er sagt, dass nicht jeder Mensch die gleiche Chance bekommt. In Anerkennung der anhaltenden Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Herkunft spricht er von der “Eierstock-Lotterie”. Demnach ist dies “das wichtigste Ereignis, an dem Sie jemals teilnehmen werden”. Das Land oder die Familie, in die man hineingeboren wird, haben demnach einen viel größeren Einfluß auf den Lebensweg eines Menschen, als die Wahl der richtigen Schule, den Arbeitseinsatz und ähnliches. Er erkennt an, dass er, im Gegensatz zu vielen anderen, keine Barrieren aufgrund von Familie, Hautfarbe oder Geschlecht überwinden musste.

Leistungsgesellschaften sehen gerne eine Eins-zu-Eins-Korrelation zwischen Anstrengung und Leistung. Es ist eine Vorstellung, die uns das Gefühl gibt, unser Schicksal in der Hand und den Erfolg, den wir genießen, auch voll verdient zu haben. Aber in Wahrheit gibt es viele Faktoren, die das Spielfeld unserer Leistungsgesellschaft weiterhin in die eine oder andere Richtung verschieben. Hautfarbe, Herkunft, sozioökonomischer Status und Geschlecht bestimmen immer noch den Einzelnen, die Gesellschaft und wo wir gerade stehen. Auch wenn die Auswirkungen solcher Faktoren möglicherweise verringert wurden, zeigt sich, dass sie weiterhin großen Einfluss haben.

Sündenböcke der Nation

Tatsächlich sind wir heute sehr viel wohlhabender als früher, aber das ist nicht damit gleichzusetzen, dass sich die Situation für den Einzelnen zum Besseren gewendet hat. Die Globalisierung der Märkte und der Abbau von Handelsbarrieren ermöglichte ärmeren Regionen der Welt aufgrund von Kostenvorteilen ihren Lebensstandard mit der Zeit langsam aber doch zu steigern. So konnten im letzten Jahrhundert Milliarden von Menschen aus der Armut befreit werden. Aber das bedeutet nicht, dass das vorherrschende Ordnungsprinzip perfekt ist und Menschen damit nicht zu kurz kommen. Das zunehmende Aufkeimen politischer Strömungen wie der AfD, der Brexit und Trump sind Auswüchse und Reaktionen einer Gesellschaft von zunehmender Ungleichheit in den westlichen Demokratien.

Prekäre wirtschaftliche Verhältnisse, ein getrübter Arbeitsmarkt, Outsourcing, sinkende Netto-Reallöhne und gesellschaftliche wie auch globale Entwicklungen drängen immer mehr Menschen an den Rand der Gesellschaft. Dazu kommt ein sukzessiver Abbau des Sozialstaates und fehlende Sicherheiten betreffend weiterer zukünftiger Anstellungsverhältnisse. In den vergangenen Jahrzehnten kam es zu erheblichen Einschnitten in das staatliche Pensionssystem und auch das Wohnen ist für viele dieser Generation kaum noch leistbar. Diese Entwicklungen sorgen dafür, dass man immer schwieriger vorhersagen kann, ob der Ort an dem man lebt, auch noch in wenigen Jahren derselbe sein wird oder ob zukünftige Anschaffungen überhaupt leistbar sein werden. So werden die Ungleichheiten in demokratischen Gesellschaften verstärkt. Nicht wenige Menschen stellen das vorherrschende Gesellschaftsmodell in Frage, da der “Gürtel immer enger geschnallt werden muss”.

Vergangene Tage scheinen kollektiv genommen tatsächlich besser gewesen zu sein. Das sorgt dafür, dass nach Sündenböcken gesucht wird: Migration, die vorherrschende wirtschaftliche Ordnung, populistische Politiker, mal Vegetarier, dann Veganer, die zunehmende Umweltverschmutzung oder Ähnliches. Aber leider funktioniert unsere gesellschaftliche Ordnung nicht so einfach und dies erst recht nicht in einer immer schnelllebigeren Zeit und einer globalisierten Welt.

Ökonomische Ursachen und mögliche Lösungsansätze

Verantwortlich für die angespannte Lage vieler Menschen sind die ökonomischen Maßnahmen, die viele Länder dieser Welt ergreifen. Die immensen Staatsschulden der Länder in entwickelten Demokratien sind lediglich durch einen gemeinsamen Schulterschluss von Regierungen und Notenbanken finanzierbar. Letztere finanzieren, was immer der jeweilige Staat an Mitteln braucht. Irgendwann wird jedoch diese Form der Finanzierung von Staaten an ihre Grenzen kommen. Dieser “Tipping-Point” wird spätestens dann erreicht, wenn die Bürger ihr Vertrauen in beliebig druckbares “Papiergeld” verlieren. Dabei ist die Staatsverschuldung über die Jahrzehnte ständig angestiegen.

Diese sich wiederkehrenden (Schulden-)Zyklen gab es jedoch schon immer (beispielsweise die Weltwirtschaftskrise 1929 und die Weltwirtschaftskrise ab 2007), bestehen seit Jahrhunderten und tragen wiederholt zu wirtschaftlichen Krisen und politischen Umbrüchen bei. Dazu findet sich bereits im Alten Testament die Erklärung der Notwendigkeit der Schuldenbeseitigung innerhalb mehrerer Jahrzehnte (Erlassjahr). Im Mittelalter wurden die Goldmünzen entwertet, indem man diesen Eisen und andere Metalle zusetzte und so deren Wert minderte.

Bildlich gesprochen: Stellt man jedem österreichischen Haushalt 1 Million Euro vor die Tür, würde niemand mehr unliebsame Tätigkeiten verrichten und eine rasche Inflation wäre die Folge. Demzufolge drucken Staaten nun massiv Geld, woraus dieselben Konsequenzen resultieren: Das Zahlungsmittel wird weniger wert und man versucht so die Verschuldung in den Griff zu bekommen. Blickt man auf die Staatsverschuldungen im geschichtlichen Verlauf, so waren politische Umbrüche eher die Konsequenz als die Ursachen dafür, da die Bürger der Staaten früher oder später die Leidtragenden dieser Entwicklungen wurden (angespannte Arbeitsmärkte, Geldentwertung und die obig angeführten unliebsamen Entwicklungen).

Der Abbau der Verschuldung kann dabei durch 1) Sparmaßnahmen (Austeritätspolitik), 2) Schuldenreduktion (Schuldeneinschnitte), 3) Vermögenstransfers (von Wohlhabenden zu weniger Wohlhabenden) und 4) durch Schuldenmonetarisierung (durch das Drucken von Geld) erfolgen. Jede dieser vier Möglichkeiten reduziert Schulden. Diese haben jedoch unterschiedliche Auswirkungen auf Inflation und Wachstum. Die Unterschiede und der Erfolg der Abwicklung des Schuldenabbaus hängen von der Intensität und dem Tempo dieser vier Maßnahmen ab und wie geschickt die Regierungen dabei vorgehen. Diese Maßnahmen sind nicht immer von Erfolg gekrönt, wie die enormen wirtschaftlichen Problemstellungen zeigten, mit denen beispielweise die Weimarer Republik (von 1918 bis 1933) und andere Länder zu kämpfen hatten. Die daraus resultierenden extremen linken als auch rechten politischen Strömungen stürzten die Welt ins Chaos und waren für viele Menschen und Nationen verheerend.

Was hält die Zukunft für uns bereit

Seit Jahrtausenden wechselt die Geschichte zwischen langen Abschnitten steigender beziehungsweise stabiler Ungleichheit. In den vergangenen Jahrzehnten, beginnend in den 1920er- bis in die 1970er- und 1980er-Jahre, erlebten sowohl die reichen Volkswirtschaften der Welt als auch die Länder, die kommunistischen Regimen gefallen waren, eine der intensivsten wirtschaftlichen Angleichungen im geschichtlichen Verlauf. Seitdem hat ein Großteil der Welt den nächsten langen Weg beschritten – eine Rückkehr zu anhaltender Kapitalakkumulation und Einkommenskonzentration. Wenn man sich die Geschichte ansieht, könnte eine friedliche politische Reform den wachsenden Herausforderungen, die vor uns liegen, nicht gewachsen sein. Aber was ist mit anderen möglichen, alternativen Herangehensweisen? Wir alle, die größere wirtschaftliche Gleichheit schätzen, tun gut daran uns zu erinnern, dass sie mit den seltensten Ausnahmen immer nur durch viel Leid hervorgebracht wurde.

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