Geldanlage, unterdurchschnittliche Renditen und 2. Weltkrieg – Survivorship Bias (Überlebensirrtum)

| January 25, 2022|Categories: Finanzmärkte, Geldanlage|

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Experten, Medien, Ökonomen, Newsletter-Verfasser, Gurus und etliche mehr werden nicht müde, vor den nächsten Einbrüchen und Korrekturen an den Börsen zu warnen. Und tatsächlich, früher oder später werden Kurse auch wieder sinken. Diejenigen, die Kurskorrekturen über die Jahre immer wieder prophezeiten, werden dann auch einmal Recht bekommen. Dies liegt in der Natur der Sache. Sie brauchen sich vor Kurskorrekturen auch nicht fürchten, da auf fallende Kurse wieder steigende folgen und man mit Wertpapieren dafür gegenüber anderen Anlageformen auch ausreichend entschädigt wird – nämlich in Form höherer Renditen. Die Belege, welche gegen diese Market-Timing-Strategien und aktives Handeln sprechen (Vorhersage bzw. Prognosen geeigneter Ein- und Ausstiegspunkte und das Handeln nach diesen) sind überwältigend. 70 bis 96 Prozent dieser Strategien, welche in hoher Anzahl von Banken, Finanzinstitutionen, Investmentfonds u.Ä. Produkten vertrieben bzw. verfolgt werden, erzielen unterdurchschnittliche Resultate.

Blick durch die getrübte Linse
Über die letzten 20 Jahre erwirtschaftete der durchschnittliche Anleger rund 2 Prozent Rendite, bei einem Durchschnitt von 8 Prozent, welche Aktien insgesamt erzielt hätten. Diese große Differenz lässt sich mit dem Verhalten der Anleger erklären. Sie tendieren dazu zu kaufen, wenn Märkte sehr gute Erträge erbrachten und zu verkaufen, wenn Märkte sehr schlechte Renditen erzielt haben. Dies betrifft die unterschiedlichsten Aktienmärkte (verstreut über alle Ländern) als auch einzelne Aktien. Menschen werden u.a. aufgrund der Medien dazu verleitet, den Massen zu folgen und geben ihren Versuchungen nach, weil sie Schlagzeilen und Meinungen hören, wie: „Gewinne sollten jetzt mitgenommen werden.“ Sie kaufen bei steigenden Märkten (Bullen-Märkte) und verkaufen bei fallenden Kursen (Bären-Märkte). Dies kann sehr kostspielig für die Anleger sein, bedeuten doch einige Prozentpunkte weniger über die Jahre hinweg ein Vielfaches weniger an materiellem Wohlstand (aufgrund des Zinseszinses). Die unterdurchschnittlichen Renditen der Anleger und Investoren stehen auch ein Stück weit damit in Verbindung, dass diesen nur ein verschwommenes Bild ihrer Situation oder der Finanzindustrie gezeichnet wird. Dies hat auch mit mangelnder Unabhängigkeit der Menschen zu tun, welche in dieser Branche arbeiten. Viele Veranlagungs- und Vermögensberater offerieren Produkte, ganz einfach weil sich diese gut verkaufen, jedoch nicht weil es sich dabei um die besten für ihre Klienten handelt. Sie tun dies entweder (1) weil sie nicht wissen, dass es sich um schlechte Fondsprodukte oder die falschen Strategien handelt („Market-Timing“, „Absolute-Return“ u.Ä.). Also unbewusst, da Veranlagungs- und Vermögensberater daran glauben oder es ihnen an entsprechender Bildung fehlt. Oder (2) sie verkaufen Ihnen diese schlechteren Produkte bewusst und wissen, dass diese Produkte nicht die besten Leistungen erbringen, jedoch sich eben gut verkaufen. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt mit diesen Produkten und sind so vom Verkauf dieser abhängig – beides wichtige Ausschlusskriterien für die Geldanlage und Vermögensveranlagung.

Anlageformen und Verhaltensverzerrungen
Private Equity und Venture Capital sind Anlageformen, welche gerade in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewannen. Viele bekannte Unternehmen sind aufgrund von Venture Capital Investments (Risikokapital) entstanden – wie Amazon und Facebook. Dies verhalf alternativen Anlageformen zu weiterer Popularität. Venture Capital Gesellschaften sehen sich jedoch mit einer Situation konfrontiert, in welcher von 4.000 Start-ups lediglich 200 (5 Prozent) für Investitionen in Frage kommen. Von diesen 200 generieren jedoch nur 15 mehr als 95 Prozent der Renditen. Diese enorme Schwankungsbreite ist es auch, welche Venture Capital so riskant macht. Über die letzten Jahre hätte man mit Venture Capital Fonds eine Rendite von 13,4 Prozent pro Jahr erzielt. Der S&P 500 (weltweit führender Vergleichsindex) erzielte 12,4 Prozent und der kleinere S&P Small-Growth 14,4 Prozent. Die Erfahrung zeigt, dass mit Venture Capital eine hohe Volatilität (Schwankungsbreite), Illiquidität und das Risiko der Survivorship-Verzerrung (sprich eine Verhaltensverzerrung) verbunden sind. Lediglich 60 Prozent bis 70 Prozent der Venture Capital Fonds haben eine Lebensdauer von mehr als zehn Jahre. Was konkret ist dieser Survivorship Bias (sprich Überlebensirrtum) und was hat dieser mit der Geldanlage zu tun?

Was sind Verhaltensverzerrungen?
Gerade Verhaltensverzerrungen sind für die zuvor beschriebenen unterdurchschnittlichen Resultate der Anleger und Investoren verantwortlich. Im selben Maße wie sich Verhaltensverzerrungen schleichend bemerkbar machen, nimmt man auch von einem schlechten Vermögensmanagement über einen Zeitraum von wenigen Jahren nicht viel davon wahr. Über mehrere Jahrzehnte kann sich eine schlechte Vermögensverwaltung jedoch erheblich bemerkbar machen. Die erläuterte Survivorship-Verzerrung (eine von vielen Verhaltensverzerrungen der Anleger und Investoren) ist vor allem aufgrund von Ereignissen des Zweiten Weltkriegs bekannt. Man verstärkte bei Kampfflugzeugen anfänglich vor allem die Stellen der Flugzeuge, welche die meisten Einschusslöcher aufwiesen. In der Folge wurde man jedoch darauf aufmerksam, dass die heimkehrenden Kampfflugzeuge mit den entsprechenden Einschusslöchern den Schaden verkraften konnten und gerade deswegen immer noch sicher nachhause kamen. Daraufhin verstärkte man die Panzerung auf Flächen der Flugzeuge, welche nicht von feindlichem Beschuss betroffen waren (da dies Bereiche der Flugzeuge waren, aufgrund deren die Flieger nicht wieder zurückkehrten).

Unter „Survivorship Bias“ ist an den Finanz- und Kapitalmärkten zu verstehen, dass die Renditen der Fonds und anderer Anlageprodukte besser ausgewiesen werden, als sie tatsächlich sind. Dies deshalb, da liquidierte, zusammengelegte und geschlossene Fonds aus den Datenbeständen herausfallen und so die Leistungen der verbliebenen Fonds verzerren. Somit zeigt sich nicht nur bei Venture Capital diese Verzerrung, sondern auch bei Wertpapieren und Fonds, in welche Anleger investieren. Investmentfonds, die eine anhaltende Underperformance aufweisen (unterdurchschnittliche Renditen erzielen), werden häufig geschlossen. Ich meine nicht geschlossen für neue Investoren, ich meine ganz generell geschlossen. In einer Studie über die Auswirkungen des „Survivorship Bias“ auf die Statistik von Investmentfonds untersuchten Forscher über 2.000 Investmentfonds, die über einen Zeitraum von 15 Jahren hinweg geschlossen wurden. Es war nicht überraschend, dass der Hauptgrund für die Schließung der Investmentfonds eine Underperformance war. Die Forscher untersuchten dann die überlebenden Fonds im selben Zeitraum und stellten fest, dass in nahezu jeder Kategorie, einschließlich aller wichtigen Märkte, aktiv verwaltete Fonds hinter dem Index zurückblieben. Sobald die geschlossenen Fonds wieder in die Statistik aufgenommen wurden, wurde die Underperformance noch schlimmer.

Was bedeutet dies nun? Nun, diese Fonds (welche unterdurchschnittliche Renditen erzielen) werden aus Datenbanken entfernt, mit welchen Anleger Entscheidungen treffen. Survivorship Bias lässt den Anschein erwecken, als ob diese Fonds, welche häufig die schlechteste Performance in der jeweiligen Gruppe erzielte, überhaupt nicht existierten. Daraus resultiert für die Anleger: Die Daten machen deutlich und zeigen immer wieder, dass Investmentfonds hinter ihren jeweiligen Referenzindex zurückbleiben. Da viele Anleger jedoch den Survivorship Bias erst gar nicht kennen, sind sie sich darüber nicht im Klaren, dass die Daten den Grad der unterdurchschnittlichen der Fonds der Banken und Kapitalanlagegesellschaften nicht einmal vollständig wiedergeben.

Survivorship Bias bezieht sich somit auf die Idee, dass wir eine falsche Darstellung der Realität erhalten, wenn wir unser Verständnis nur auf die Erfahrungen derer stützen, die „leben“, um ihre Geschichte zu erzählen. Ein Blick drauf, wie die Flieger des 2. Weltkriegs die Ingenieure anfänglich täuschten, zeigt, wie Überlebensverzerrungen uns die Realität in anderen Situationen falsch vor Augen führen. Demnach führt das Nichterkennen des Überlebensbias zu fehlerhaften Entscheidungen. Wir sehen das große Ganze nicht und optimieren am Ende für ein kleines Stück der Realität. Wir können diese Verzerrung nicht vollständig überwinden. Das Beste, was wir tun können, ist, sich dessen bewusst zu sein. Wenn der Einsatz hoch oder das Ergebnis wichtig ist, halten Sie an und suchen Sie nach den Geschichten derer, die keinen Erfolg hatten. Sie haben uns genauso viel, wenn nicht sogar mehr zu lehren. Wenn Sie das nächste Mal das Risiko einschätzen, fragen Sie sich: Schenke ich den rückkehrten Fliegern zu viel Aufmerksamkeit und den nicht rückgekehrten Fliegern nicht genug?

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