Dietrich Mateschitz mochte keine Aufgeregtheit und Sentimentalitäten

| October 25, 2023|Categories: Happiness|

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Volker Viechtbauer, langjähriger enger Vertrauter des Red Bull-Gründers, spricht im LEADERSNET-Interview u.a. von den größten Herausforderungen und Meilensteine beim Energydrinkkonzern, was er von Dietrich Mateschitz gelernt hat, über seinen Weg zum Erfolg, sein neues Buch und seine Gedanken zur Mitarbeiterführung. Weiters verrät er, wieso sein Start bei Red Bull alles andere als leicht war und wieso sich die beiden Männer mitunter lautstark die Meinung gesagt haben.

Volker Viechtbauer war fast 30 Jahre bei Red Bull tätig, aktuell fungiert er nach wie vor als Berater von Mark Mateschitz (LEADERSNET berichtete). Dietrich Mateschitz stellte ihn damals als ersten Juristen bei Red Bull ein. Der im Vorjahr verstorbene Firmengründer erkannte frühzeitig Viechtbauers Talent und ließ ihm immer mehr Verantwortung zukommen, weshalb er auch maßgeblich am Erfolg des Unternehmens beteiligt war. Trotz seines Erfolgs war Mateschitz dafür bekannt, ein Privatmann zu sein, der selten Interviews gab. Im LEADERSNET-Interview gibt Viechtbauer seltene Einblicke in dessen Wirken und Schaffen.

Am Dienstag (17. Oktober) veröffentlicht er sein neues Buch “Dietrich Mateschitz: Flügel für Menschen und Ideen”. In dem Buch gibt er einen speziellen Einblick in die Welt von Red Bull. Er beschreibt darin, wie die Grundsätze Freiheit, Selbstverantwortung und Gestaltungswillen mit der Lebenshaltung des Red-Bull-Gründers übereinstimmen. Volker Viechtbauer zeigt Denkweisen auf, die Dietrich Mateschitz und sein Team zu einem globalen Erfolg geführt haben.

LEADERSNET: Erzählen Sie Ihren Hintergrund. Wie sind Sie aufgewachsen? Welche Schwierigkeiten gab es zu bewältigen? Was hat Sie geprägt?

Ich bin ein Baby Boomer und in Oberösterreich aufgewachsen. Meine Mutter war alleinerziehend und ich bin bis zum sechsten Lebensjahr bei meinen Großeltern beim “Voest”-Eingang #3 aufgewachsen. Anschließend Volksschule und Hort in Linz. Dann acht Jahre Gymnasium in der Bundeserziehungsanstalt Saalfelden. Auf meine Schule angesprochen, wurde meine Oma oft gefragt, was ich denn angestellt habe. Dietrich Mateschitz maturierte übrigens an der BEA-Graz Liebenau. Anschließend Studium der Rechtswissenschaften in Linz, das ich wohl der Sozial-Politik Kreiskys zu verdanken habe. Auslandsstudium in den USA und Gerichtsjahr und Anwaltsausbildung wieder in Linz. 1995 habe ich dann nach einem Interview mit Dietrich Mateschitz bei Red Bull als erster Jurist angefangen. Alles ohne “Vitamin B”, ab 1995 dann aber mit nervenstärkendem Vitamin B 12 (als Inhaltsstoff von Red Bull).

LEADERSNET: Können Sie uns etwas über Ihre langjährige Beziehung zu Dietrich Mateschitz erzählen und wie Sie sich kennengelernt haben?

Dietrich Mateschitz meinte immer: “Bevor ich einen Juristen anstelle, sperre ich lieber die Firma zu!” Ich hatte also keinen leichten Start. Rückblickend war die Reise einfach großartig. Es war mein Traumjob. Zu Mateschitz 70er haben ihm die engsten Mitarbeiter ein Video gemacht. Ich habe mich in diesem Video bei ihm für die Möglichkeit, bei Red Bull zu arbeiten, bedankt. Er hat sich sehr darüber gefreut.

LEADERSNET: Was hat Sie dazu bewogen, ein Buch über Dietrich Mateschitz und die Geschichte von Red Bull zu schreiben?

Die ursprüngliche Idee war, den Mitarbeiter:innen von Red Bull eine Orientierungshilfe zu geben. Red Bull unterscheidet sich doch sehr von “normalen”, also primär Shareholder-Value getriebenen Unternehmen. Nach dem Tod von Dietrich Mateschitz im letzten Jahr interessiert das Buch aber vielleicht auch eine größere Leserschaft. Immerhin hat Dietrich Mateschitz, nachdem er das Buch gelesen hatte, auch gemeint: “Vielleicht ist so etwas wie ein Nachruf.”

LEADERSNET: Was waren einige der größten Herausforderungen, mit denen Red Bull während Ihrer Zusammenarbeit mit Mateschitz konfrontiert war und was waren die schönsten Erlebnisse? Welche Rolle spielte Ihr eigenes Wirken bei Red Bull, insbesondere als erster Jurist im Unternehmen? 

In den ersten beiden Jahren gab es Momente, in denen sowohl Mateschitz als auch ich uns – Mateschitz mitunter lautstark – die Meinung gesagt haben. Wir haben uns gefragt, ob ich wirklich das richtige Talent an der richtigen Stelle bin. Der Durchbruch kam, als ein Getränkehändler Diskotheken mit billigen Energy-Drinks aus dem Container versorgte. An der Bar wurde das dann als Red Bull verkauft. Ich war dann jedes Wochenende mit Freunden unterwegs und habe Proben gezogen. Wir haben das rasch gerichtlich abgestellt. Auf den Toiletten so mancher Diskothek in der Steiermark hing mein Foto in einem Fadenkreuz… mit dieser Aktion habe ich meine Aufgabe in den Augen von Mateschitz erstmals erfüllt. Geholfen hat auch, dass Gastro-Urgestein Robert Hohensinn meine Arbeit zu schätzen wusste und das auch bei Dietrich Mateschitz deponiert hat.

Cool war auch das Wachstum: Von einem Mitarbeiter in der Rechtsabteilung – nämlich mir selbst – zu dann am Ende über 150. Von 100 Millionen Euro Umsatz zu zehn Milliarden. Formel 1, Media House, Fußball – ich bin seit über zehn Jahren in der österreichischen Bundesliga im Aufsichtsrat. Und Mateschitz ließ mir überall, wo es der Marke diente, großen Spielraum und Gestaltungsfreiheit.

Eben deshalb können wir nach 30 Jahren auf viele Erfolge zurückblicken, zu denen wir beitragen durften: Die Blau-Silber-Farbmarke sicherte unseren Umsatz ab. In den USA konnten wir Parallelimporte verhindern, was uns dort ein sehr gesundes Preisniveau verschafft hat. Dietrich Mateschitz hat immer gesagt: “Red Bull hat eine Toxikologie wie ein Arzneimittel”. Das hat uns den Verkauf in allen Ländern der Welt gesichert, trotz neuartiger Zutaten wie Taurin oder einem hohen Koffeingehalt. Darüber hinaus hat die Personalabteilung den “wingfinder” erfunden, dem ich in meinem Buch ein ganzes Kapitel widme.

Ich erinnere mich noch gerne zurück, als wir die Zulassung für Red Bull in Italien bekommen haben. Herr Mateschitz ist mit mir an der Seite durch alle Zimmer des damals noch kleinen Headquarters gegangen und hat die gute Nachricht verkündet. Das fühlte sich damals so an wie ein Ritterschlag.

LEADERSNET: Der Individualpsychologe Alfred Adler sagte einmal, dass das Gefährlichste im Leben sei, zu vorsichtig zu sein. Wenn wir uns zu sehr an den Erwartungen anderer konzentrieren, dann entdecken wir unserer eigenes selbst nicht, da wir die Erwartungen anderer erfüllen. Sie schreiben auch in Ihrem Buch, dass Mateschitz es als Zeichen von Führungsstärke erachtete, wenn eine Führungskraft keine Angst vor exzellenten Mitarbeiter:innen hatte und solche einstellte. Weggefährten bescheinigten Mateschitz ebenso eine gewisse Kühnheit. Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis des Erfolgs von Red Bull? Welche Lehren haben Sie persönlich aus Ihrer langen Zusammenarbeit und Freundschaft mit Dietrich Mateschitz gezogen?

Die Gegenpole Freiheit und Selbstverantwortung hat Mateschitz in Form von hoher Risikobereitschaft bei gleichzeitig großer Selbstkontrolle umgesetzt. Sein unbedingter Gestaltungswille. Er mochte keine Aufgeregtheit und Sentimentalitäten. Gutes Benehmen und Gelassenheit waren ihm wichtig. Er war in fast jeder Beziehung ein großes Vorbild für mich und eine Art Mentor. Ohne ihn und Red Bull wäre mein Leben anders verlaufen.

LEADERSNET: Wie würden Sie die Persönlichkeit von Dietrich Mateschitz beschreiben und welche Eigenschaften machen ihn zu einem erfolgreichen Unternehmer? Wie würden Sie die Unternehmenskultur bei Red Bull unter der Führung von Dietrich Mateschitz beschreiben? Sie führen in Ihrem Buch an, dass es Mateschitz stets ein Anliegen war, darauf zu schauen, dass die Mitarbeiter:innen bescheiden bleiben und sich nicht zu wichtig nehmen.

In meinem Buch geht es um die zentralen Gedanken von Viktor Frankl, die in der Unternehmensphilosophie von Red Bull Eingang gefunden haben. Es ist so etwas wie eine Red Bull-DNA. Dietrich Mateschitz hat sich in dem einen oder anderen Interview, wenn es um Freiheit und Selbstverantwortung ging, gerne auf Viktor Frankl berufen. Er hatte seine Vorlesungen besucht.

Viele Beispiele der Mitarbeiterführung im Sinne Viktor Frankls sind im Buch angeführt. Wir versuchen die Mitarbeiter:innen zu motivieren, einen sinnvollen Beitrag zu leisten und Verantwortung zu übernehmen. Nicht zuerst an sich selbst, an kurze Arbeitszeiten, hohes Gehalt und Karriere zu denken, sondern an die Aufgaben und den Beitrag im Unternehmen. Wenn man gut im Job ist, kommt all das ganz von selbst. Nicht intendiert, sondern als Konsequenz, weil man seinen Job gut macht. Bescheidenheit ist auch wichtig. Dietrich Mateschitz hat gerne Wilhelm Busch zitiert: “…wenn einer, der mit Mühe kaum erklommen hat den ersten Baum, schon glaubt – dass er ein Vöglein wär, so irrt sich der.” Jede Maßnahme wird zuerst an den Grundsätzen von Viktor Frankl gemessen, bevor sie umgesetzt wird. Und: Vitamin B gibt es nur in der Dose, nicht im Unternehmen.

LEADERSNET: Red Bull und Mateschitz sorgten ebenso für Kontroversen. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass auch Dietrich Mateschitz Fehler und Schwächen hatte. Mit welchen Entscheidungen stimmten Sie nicht überein? Mateschitz wehrte sich vehement gegen die Gründung eines Betriebsrates bei ServusTV. Die Schließung des Senders stand aufgrund dessen im Raum. Zu Diskussionen führten auch der Tod und die schwer verletzten Extremsportler im Zuge der Marketingkampagnen von Red Bull oder der weitere Verkauf der Produkte in Russland, obwohl sich andere Hersteller aus diesem Markt aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zurückgezogen haben.

Frankl sagt der Sport ist die moderne Form der Askese. Wir unterstützen Menschen, die ihre Ambitionen und Ziele in die Wirklichkeit umsetzen. Die machen das mit und noch viel öfter ohne Red Bull in Freiheit und Selbstverantwortung. Jedem ist bewusst, dass zum Beispiel das von Frankl so geliebte Klettern in den Bergen mit einem gewissen Risiko verbunden ist. Dieses Risiko kann man minimieren, aber nicht ausschließen. Das Risiko ganz auszuschließen geht nur, indem man den Menschen das Klettern verbietet – und das kann ja wohl kein ernst gemeinter Vorschlag sein.

LEADERSNET: Welche Veränderungen und Herausforderungen sehen Sie in der Zukunft der Arbeitswelt, und wie können sich Unternehmen darauf vorbereiten? Gibt es besondere Ratschläge oder Prinzipien, die Sie Manager:innen für die erfolgreiche Führung von Mitarbeiter:innen geben können?

Ich erlaube mir an dieser Stelle, aus meinem Buch zu zitieren: “Die Geisel unserer Zeit ist der Konformismus – wir tun, was alle tun. Dazu bedarf es nicht einmal mehr totalitärer Systeme, die Indoktrination erfolgt heute subtiler über soziale Medien, in deren Filterblasen und Echokammern. Der Wahrheitsgehalt einer Information ist dabei kein Kriterium, und ganz nebenbei werden die Errungenschaften der Aufklärung wieder abgeschafft. Die Erde ist eine Scheibe, der Mensch war nie auf dem Mond, und Impfstoffe übertragen Aids – das Angebot an alternativen Fakten ist mittlerweile grenzenlos. Das Gefährliche an dieser Entwicklung ist, dass eine Diskussion, die humanistisch zu führen wäre, politisch geführt wird, und das, obwohl Gefahren aus allen Richtungen drohen. Vom rechtsliberalen Flügel droht oder lockt – je nach Sichtweise – der sogenannte Raubtierkapitalismus, die Jagd nach Erfolg, kurzfristigem Gewinn und einzelnen kurzen, wahllos aneinandergereihten Glücksmomenten des Konsums, die dem Akteur nur noch die Wahl zwischen Hedonismus und Nihilismus lassen. Von links wird bezweifelt, ob wir fähig sind oder es uns überhaupt erlaubt sein sollte, Verantwortung zu übernehmen. Man will uns vor uns selbst schützen, mit Regeln und Vorschriften, die zunehmend kafkaesk anmuten und in den geschützten Werkstätten gewerkschaftlicher Wunschbilder ersonnen werden. Der Aufpasser Staat will uns beschützen, auch und vor allem vor uns selbst, und unser Schicksal sanft, aber bestimmt von der Wiege zur Bahre regeln und begleiten. Aus der sogenannten Mitte droht die gesellschaftliche Konvention, der Kompromiss und das politisch Korrekte. Die allgemeine Sinnkrise verläuft somit existenziell ‘humanitär’ zwischen Fremd- oder Selbstbestimmung. Verführt, bemuttert, normiert und berechnet, ist es heute wie gestern keine Selbstverständlichkeit, gegen den Strom zu schwimmen, seine spezifische Aufgabe im Leben zu finden – und dabei anständig zu bleiben. Nicht mehr und nicht weniger.”

LEADERSNET: Abschließend, könnten Sie uns mehr über die bemerkenswerte Entscheidung von Dietrich Mateschitz und Red Bull erzählen, dass die Unternehmens-Sprecherin immer den letzten Platz in der jährlichen Bestenliste der Kommunikatoren einnehmen sollte, und was diese Entscheidung über die Unternehmenskultur aussagt?

Das ist ganz einfach: Das Erfolgsgeheimnis von Red Bull war und ist, dass wir so wenig wie möglich über uns sprechen, sondern die Marke, Menschen und Ideen für uns sprechen lassen.

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